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Das Tüpfelchen auf dem i !

„Ganz schön, aber … wo bleibt das Lächeln?“ war die Reaktion meiner Schwester auf unser Tanzvideo. Sie hatte Recht. Wir haben uns ganz auf das Tanzen konzentriert, aber das Tüpfelchen auf dem i hat gefehlt: das Lächeln. Unsere Angespanntheit hat uns davon abgehalten.  Wie oft habe ich gestaunt oder war regelrecht irritiert, wie routinierte Tanzpaare, sobald sie auf der Fläche erscheinen, das Lächeln ein- und nach dem Tanzen wieder ausschalten!  Das Lächeln gehört zum Tanzen dazu. Wir verbinden verschiedene Sportarten meist mit einer speziellen Mimik, die mit der Aktion einhergeht. Der Gewichtheber zum Beispiel hat einen zusammengekniffenen Mund, eine gerunzelte Stirn und einen angespannten Kiefer, geblähte Wangen - je nach Anstrengung. Keiner erwartet von ihm, dass er lächelt. Sollte er es doch tun, dann wäre wohl irgendetwas faul … Lächeln beim Tanzen dagegen vermittelt Leichtigkeit, Spaß und eine positive Ausstrahlung. Dem Publikum wird Freude signalisiert.  Wo ist aber...

Der Kugelmensch: Platon und Paartanzen


 Beim Paartanz in den Standardtänzen bewegen sich zwei Menschen idealerweise so, als wären sie ein Wesen, wenn sie wirklich gut tanzen, oder sie streben es zumindest an, so zu wirken. Kontaktstellen am Oberkörper und an der Hüfte, zum Teil auch an den Beinen vermitteln Impulse, um die Bewegungen zu steuern und die Illusion eines vierbeinigen und vierarmigen Wesens zu fördern, das Paar wird eins. Bei den Schwungtänzen - z.B. Walzer oder Quickstep - sollen  sie den Schwung  gemeinsam wie ein Pendel ausführen. Unser Trainer  benutzt dazu gerne das Bild einer Kugel: Die Kugel muss rollen, die  Schritte der beiden Tänzer müssen groß genug sein, dass die Kugel auch ins Rollen kommen kann.

Und mit der Kugel sind wir auch schon bei Platon.

Platon lässt in seinem Dialog "Das Gastmahl“ Aristophanes, einen der Dialogteilnehmer, eine mythologische Erklärung über die Natur des Menschen vortragen.

Er erzählt, dass ursprünglich Menschen in der Form von Kugelwesen existierten, die aus zwei Hälften bestanden – jeder Mensch war ursprünglich eine Kugel mit vier Armen, vier Beinen und einem Kopf mit zwei Gesichtern. Diese Wesen waren mächtig, stolz und übermütig. Als sie die Götter sogar angreifen wollten, schnitt Zeus, um sie für ihre Hybris zu bestrafen, die Kugelwesen in zwei Hälften, wodurch die Menschen entstanden. Die getrennten Hälften der Kugelwesen sehnen sich nun danach, wieder mit ihrer verlorenen Hälfte vereint zu werden. Diese Sehnsucht nach Wiedervereinigung, so Aristophanes, ist die Grundlage der Liebe und Anziehung zwischen Menschen. Menschen versuchen also, ihren ursprünglichen Zustand der Vollständigkeit und Einheit wiederherzustellen, indem sie ihre verlorenen Hälften suchen und finden.

Wir wissen, dass Vollständigkeit und Einheit höchstens in Ausnahmefällen erreicht wird. Und vielleicht ist dieses Ziel gar nicht so erstrebenswert und auf Dauer womöglich langweilig. Das schließt aber nicht aus, dass hin und wieder der Versuch inszeniert wird, mittels eines gemeinsam gehörten Rhythmus Bewegungen durchzuführen, die im Idealfall das Bild des Kugelmenschen evozieren. Im Idealfall ...


Kommentare

  1. Liebe Ulis,
    was für ein ansprechender Blog!
    Nicht nur, dass das Bild zugleich modern und archaisch anmutet, auch die philosophischen Betrachtungen dazu gefallen mir sehr. Dass Ihr unter die Oberfläche des Tanzes blickt, wertet ihn nochmal extra auf - der tiefe Sinn hinter der Oberfläche verleiht den Tänzern und den Zusehenden eine weitere Dimension jenseits des bloß Ästhetischen.
    Herzlichen Glückwunsch und bitte mehr davon!
    Eure Sabine

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