„Azzurro il pomeriggio è troppo azzurro e lungo per me“, schmettert Adriano Celentano aus der Musikbox. „Non ho l'età, non ho l'età per amarti“, haucht Cigliola Cinquetti.
Wir sind in den 70ern, im Albergo Ponte Tegorzo in Fener, einem Ort im Veneto. Die Box spielt einen Schlager nach dem anderen. Es geht immer um amore, cuore - mal mit mehr, mal mit weniger Schmalz.
Wenn abends die Hitze nachließ, ließen Einheimische und Sommergäste gern den Tag auf der Terrasse des Tegorzo ausklingen. In Fener durfte getanzt werden – ganz im Gegensatz zum Nachbarort, wo wir unseren Urlaub verbrachten und der Pfarrer das Sagen hatte.
„Susanna, balli? Barbara, balli?" Meine älteren Schwestern wurden unermüdlich zum Tanzen aufgefordert, mit einem „permesso?" an die Adresse der Eltern.
Tanzen? Kaum waren die Paare auf der Tanzfläche, verschmolzen ihre Körper fast miteinander. Die Arme deuteten klassische Tanzhaltung an: Der Herr umfasste die Taille der Dame, deren Arm ruhte lässig auf seiner Schulter. Die freien Hände baumelten oft locker herab – so blieb eine Hand frei für die Zigarette, falls sie nicht ohnehin schon im Mundwinkel steckte. Manchmal fasste man sich auch an den Händen. Die Dame schmiegte ihren Kopf oder ihre Wange - je nach Körpergröße und vielleicht auch Zuneigung - an Brust, Schulter oder Wange des Partners.
Die körperliche Nähe stand in krassem Gegensatz zum Gesichtsausdruck. Die Tänzer blickten demonstrativ gleichgültig vor sich hin, als hätten sie eine lästige Pflichtübung zu absolvieren, oder schlossen die Augen, wobei offen blieb, woran sie gerade dachten.
Die Tanzschritte unterschieden sich kaum von normaler Fortbewegung, hin und wieder ein Wippen, eine Drehung, ein Versuch, der Musik zu folgen. Man driftete mal in diese, mal in jene Ecke, getrieben vom Strom der anderen Tanzpaare. Wenn das Lied zu Ende war, wurden die Damen zurück an ihren Tisch begleitet – um bald wieder abgeholt zu werden.
Wir 'Kleinen' bekamen ein Eis oder eine Aranciata, eine pappsüße Orangenlimonade. Dem Geschiebe auf der Tanzfläche konnten wir nichts abgewinnen. Viel lustiger fanden wir die ungewöhnlicheren Paare: Abseits tanzte eine Oma mit einer anderen Oma, mit Enkelkind, mit Opa oder mit wem auch immer – ausgelassen und mutig, voller Lebensfreude, und das sah man ihnen auch an.
Ein Kleinkind wirbelte kreischend durch die Luft, von seiner Mutter wie auf einem Karussell herumgeschwungen. Ein anderes Kind entdeckte auf den Schultern seines hüpfenden Vaters die Welt von oben. Bei den Größeren artete das Tanzen manchmal in einen kleinen Ringkampf aus. Das war wohl nicht im Sinne des Erfinders.
Jeder kam auf seine Kosten. Nur gut, dass der Pfarrer vom Nachbarort nichts davon mitbekam!
Ja noch heute schmilzt man dahin , wenn so eine alte Schnulze zu hören ist. Die Freiheit dieser Sommerabende kommt einem sofort in den Sinn. Die Freude und Fröhlichkeit hört man wieder. Erinnerungen kommen hoch. Das war die Leichtigkeit des Sommers und der Ferien. Danke für diese Erinnerungen.
AntwortenLöschenLiebe Ulis,
AntwortenLöschendas Foto und die herrliche Schilderung der damaligen Tanzabende haben mich in eine längst und leider untergegangene Zeit versetzt. Euer Text liest sich für mich wie ein gut und lebendig geschriebener Romanauszug, nach dessen Lektüre man will, dass es immer weitergeht: Bitte mehr davon!
War es nicht wunderbar, dieses Ritual ums Tanzen herum und beim Tanzen? Köstlich, wie ihr die scheinbar unbeteiligten Mienen der Tänzer beschreibt - und die Tänzer am Rande ... Wenn ich eure Zeilen lese, läuft ein Schwarzweißfilm im Stil Audrey Hepburns oder Sophia Lorens vor meinem inneren Auge ab. Wie toll, wenn man solche italienischen Tanzabende selbst erleben konnte!
Ich hab mich gern dorthin entführen lassen von euch.
Eure Bine
Ein Beweis dafür, dass man die Eindrücke der "Kleinen" nicht unterschätzen sollte und schon gar nicht die kleine Uli. Rückblickend, und ich schätze nach rd. 60 Jahren literarisch aufgearbeitet, sind die Schilderunen so lebendig, dass sie ins Geschehen verzaubern , als sei man selbst dort gewesen.
AntwortenLöschenIch könnte von jener Zeit allenfalls den Schuhplattler beschreiben, der aber nicht annähernd mit der wunderbaren Lebensart der Italiener vergleichbar ist.